Französische Militärintervention löst Krieg aus, ein oder auf?

Die Kommission Pazifismus/Anitmilitarismus in Pax Christi Österreich ist äußert besorgt über die französische Militärintervention in Mali und bezweifelt, ob internationale Kampfmaßnahmen gerechtfertigt und geeignet sind für die Beendigung der islamistischen Gewalttaten.

Die Kriterien des "Gerechten Krieges" und die Intervention in Mali

Von Klaus Heidegger, Kommission Pazifismus/Antimilitarismus in Pax Christi Österreich (18.1.2013)

Mitte Jänner begann Frankreich, seine Streitmacht gegen die Islamisten und salafistischen Milizen im Norden von Mali einzusetzen. Der grausam-militärischen Gewalt der Islamisten in Mali mit Gewalt begegnen? Gibt es keine anderen oder bessere Möglichkeiten, als mit Kampfhubschraubern und Kampfflugzeugen den regulären Streitkräften von Mali zu Hilfe zu kommen, um weitere Menschenrechtsverletzungen im umkämpften Gebiet zu vermeiden? Ist es in der Terminologie der katholischen Soziallehre gar ein unausweichlicher „gerechter Krieg“, mit denen den „Gotteskriegern“ begegnet wird? Die entsprechenden klassischen Kriterien der Lehre vom „Gerechten Krieg“ können eine Hilfe sein, um das französische Vorgehen zu beurteilen.

1) Militärische Kampfmaßnahmen müssen ultima ratio (letztes Mittel) sein.

Was hätte alles getan werden können, um diese Blutbäder zu verhindern? Die Liste vergangener Unterlassungen ist lang. Sie beginnt in der Kolonialgeschichte Nordafrikas und geht über die Jahrhunderte, in der afrikanische Länder ökonomisch ausgebeutet und militärisch aufgerüstet wurden. Würde nur ein Bruchteil des Geldes, das nun für militärische Maßnahmen verwendet wird, in eine ganzheitlich-nachhaltige Entwicklung Malis – in Bildung und eigenständige Ökonomie – gesteckt, so würde der Terrorismus den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Mali ist eines der ärmsten Länder der Erde.

Die Europäische Union hätte so viele ökonomische und politische Mittel, um Frieden und Sicherheit in den Konfliktregionen dieser Welt zu schaffen. Dazu bräuchte es eine nicht-militärisch orientierte Gemeinsame Außenpolitik. In der EU gäbe es genügend Experten, die als Berater und Vermittler in den Konfliktregionen auftreten könnten. Je mehr gebombt wird, desto weniger sind aber Worte des Dialogs möglich. Sind die islamistischen Gruppierungen im Norden von Mali wirklich menschenfressende Ungeheuer, die nur die Sprache von Sprengstoff verstehen oder gäbe es nicht Möglichkeiten, selbst mit dem ärgsten Feind in Dialog zu treten? Wer den Feind reizt, muss sich nicht wundern, wenn seine Aggression noch größer wird. Wer einen Schritt auf den Feind zugeht, setzt einen Schritt der Entfeindung.

2) Der Einsatz militärischer Mittel muss Aussicht auf Erfolg haben.

Die Geschichte der jüngsten Interventionen zeigt, wie erfolglos die gigantischen militärischen Interventionen gewesen sind. Afghanistan ist ein Lehrbeispiel der Geschichte, dass die mächtigsten militärischen Mächte mit den größten Militärapparaten und einem horrenden Mitteleinsatz in einem jahrzehntelangen Krieg keinen Frieden schaffen können. Wird Mali das afrikanische Afghanistan?

Die islamistischen Kräfte werden sich mit den größten Militärapparaten nicht zerschlagen lassen. Einerseits werden sie nur aus dem umkämpften Gebiet zurückweichen, um dann irgendwo anders, nun sich selbstlegitimierend aus Rache und Vergeltung neu loszuschlagen. Dies zeigt auch die steigende Terrorgefahr in Frankreich oder die Bluttaten der Islamisten im benachbarten Algerien. Sollte es gelingen, durch eine Ausweitung des Krieges die Islamisten und salafistischen Milizen ganz aus den Städten und Dörfern Nordmalis zu vertreiben, so müsste dieses riesige Gebiet doch weiterhin von einer nicht unbeträchtlichen Präsenz der französischen Streitmacht über viele Monate, vielleicht sogar Jahre gesichert werden.

3) Die Mittel müssen angemessen und verhältnismäßig sein.

Militärische Maßnahmen haben schon im letzten Jahrzehnt in diesen Konfliktregionen keinen Erfolg gezeigt. Der militärische Mitteleinsatz steht in keinem Verhältnis zu den Aufwendungen für Entwicklungshilfe. Je besser die Bildung, desto weniger Bereitschaft, der Al-Kaida und ihren Gefolgsleuten auf den Leim zu gehen. Je weniger Armut, desto kleiner die Versuchung, mit den Mitteln der Gewalt einen Ausweg aus der erbärmlichen Situation zu erreichen.

4) Der Krieg muss von einer legitimen Autorität ausgehen.

Wenn Frankreich außerhalb seines Staatsgebietes und nicht aus Gründen der Selbstverteidigung agiert, so braucht es laut internationalem Völkerrecht die Legitimation des UN-Sicherheitsrates, beispielsweise für eine so genannte Responsibility-to-Protect-Intervention (R2P). Seit Sommer 2012 arbeitete Frankreich auf eine militärische Intervention hin. Die UN-Sicherheitsratsresolution 2056 (2012) sah noch keine R2P-Maßnahme vor. Ein Ausweg einer politischen Lösung wäre gewesen, die Teilautonomie im Norden des Landes anzuerkennen, bei der die territoriale Integrität des Landes erhalten bliebe.

Frankreich stützt sich auf die Resolution 2085 und nachträglich hat der UN-Sicherheitsrat das französische Vorpreschen abgesegnet. In diesem Sinne könnte das Kriterium der Legitimierung positiv abgehakt sein. Zugleich wirft diese militärische Orientierung des UN-Sicherheitsrates wieder einmal – wie im Falle von Libyen – die Frage auf, ob nicht die kriegsentscheidende Instanz der Vereinten Nationen zu sehr bestimmt wird von den polit-ökonomischen Interessen der fünf permanenten Sicherheitsratsmitglieder, die zugleich die größten Waffenexporteure sind.

5) Es muss einen schwerwiegenden Grund geben.

Der „militärische Feuerwehreinsatz“ (© Hollande) in Mali scheint tatsächlich legitimiert durch die schweren Verbrechen der islamistischen Kämpfer: Djihadisten, Tuareg-Rebellen, Menschen- und Rauschgifthändler haben im Norden Malis ein Terrorregime errichtet, das versucht wurde, auf den Süden auszuweiten. Fundamentalistische und gewalttätige Islamisten haben weite Gebiete im Norden von Mali unter ihre Kontrolle gebracht. Zehntausende mussten fliehen, uralte Kulturgüter, die unter dem Schutz der UNESCO stehen, wurden zerstört. Berichtet wurde von Gräueltaten, von Steinigungen von Ehebrechern, dem Abhacken von Händen von Dieben – kurzum all dem, was als Gräueltaten von „Steinzeitislamisten“ bezeichnet wird. Wer nicht gehorcht, wird massakriert. Die Situation erinnert an Afghanistan oder Somalia. Die Regierung von Mali scheint ohnmächtig zu sein. Der in den USA militärisch ausgebildete Staatschef von Mali kam erst vor ein paar Monaten durch einen Militärputsch an die Macht.

6) Militärische Maßnahmen müssen in rechter Absicht erfolgen.

Angefragt muss werden, ob die französische Regierung tatsächlich primär aus eigennützigen Interessen ihre Truppen in die Schlacht schicken. Die strategisch-ökonomischen Interessen sind jedenfalls offensichtlich. Rund um Mali sind seit langer Zeit französische Einheiten stationiert. Warum? Mali liegt mitten im „Goldgürtel“, der sich von Senegal über Guinea, Ghana, Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria und Kamerun durch ganz Westafrika zieht. Daneben gibt es Erdöl, Erdgas, Phosphat, Kupfer, Bauxit, Diamanten und andere Edelsteine. Kurzum: Wirtschaftliche Interessen sind evident. Im Westen des Landes wurde Uran gefunden. Dies nährte das Gerücht, Frankreich habe in den Konflikt eingegriffen, um seine Atomkraftwerke mit billigem Uran zu versorgen. Von Mali gehen vor allem aber geopolitische Risiken aus. Überall im Süden der Sahara sind islamistische Fanatiker und Terrorgruppen aktiv. Ihr Aktionsgebiet zieht sich von Somalia über Sudan, Niger, Tschad und Mali bis in den Norden Nigerias. Damit wiederum sind zentrale Interessen der Länder der Europäischen Union tangiert.

Conclusio

Laut kirchlicher Lehre kann ein Krieg nur dann gerechtfertigt sein, wenn alle diese Kriterien erfüllt werden. Zumindest ein paar zeigen, dass es kein gerechtfertigter Krieg ist. Warum wird das französische Vorgehen aber von fast allen europäischen Regierungen begrüßt oder stillschweigend zur Kenntnis genommen? Deutschland will zwar keine eigenen Kampftruppen stellen, bietet aber logistische Hilfe und hat bereits Lufttransporter nach Afrika geschickt. Die USA haben angekündigt, Drohnen ins Kriegsgebiet zu bringen – ihrem Lieblingsobjekt im „Modern Warfare“ – erprobt von Afghanistan bis Jemen. Großbritannien hat ebenfalls angekündigt, zumindest mit Material Bündnistreue zu zeigen – schließlich hängt doch die ganze NATO mit drinnen, wenn ihr Partner in den Krieg zieht.

Als gefährlicher und kontraproduktiver Weg erwies es sich wieder einmal, wenn westliche Mächte eine Armee in einem Bürgerkriegsland aufrüsten. So dürfte die von den USA unterstütze Aufrüstung der regulären malischen Armee zunächst zum Putsch geführt haben und es muss zu befürchten sein, dass malische Soldaten auch Menschenrechtsverletzungen begehen könnten.

Friedensbewegte Menschen fordern, dass Militärinterventionen stets an letzter Stelle stehen sollten. Die vergangenen Jahrzehnte militärischer Interventionen – Irak, Afghanistan, Somalia, Libyen – haben gezeigt, dass mit militärischer Einmischung von außen kein Staat und kein Frieden zu machen sind, dass jedoch damit stets unendlich viel menschliches Leid, Zerstörung und Vergeudung von Ressourcen verknüpft sind. Frankreich wäre aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit und seiner Interessen in der Region zu militärischer Zurückhaltung verpflichtet. Die französisch dominierte Intervention bietet den islamistischen Kräften und den Tuareg-Rebellen nur neuen Vorwand für ihre terroristischen Aktivitäten. Auch Libyen ist kein Beispiel für eine gelungene Intervention von außen angesichts von 30.000 Opfer des Kampfes um die Macht in Libyen, einem bis heute tief gespaltenen Land, das stets am Rande eines neuerlichen Bürgerkriegs steht, und einer immer noch zerstörten Infrastruktur. Die Tausenden traumatisierten Tuareg-Kämpfer, die auf Seiten Gaddafis gekämpft hatten und nach dem Machtwechsel aus Libyen in den Norden Malis geflohen sind, führen nun ihren Krieg in einem anderen Land weiter. Gewalt gebiert neue Gewalt. Aus der Gewalt führt nur der Weg der Gewaltfreiheit. Es braucht eine Politik, die nicht mehr auf militärische Konfliktbewältigung setzt.