Internationales Jägerstätter-Gedenken in St. Radegund am 8. und 9. August

Anlässlich des 80. Todestages des Seligen Franz Jägerstätter fand am 8. und 9. August 2023 in St. Radegund das jährliche internationale Gedenken statt.

Andreas Schmoller und Verena Lorber vom Franz und Franziska Jägerstätter Institut der KU Linz gaben Einblicke in die digitale Franz und Franziska Jägerstätter Edition: Nach mehrjähriger Forschung sind nun 370 Schriften aus dem Familiennachlass und weitere Sammlungen auf einer Website frei zugänglich. Weiters sprach der Asylexperte Herbert Langthaler über das Thema „Verfolgungsgrund Kriegsdienstverweigerung“. Bischof Manfred Scheuer betonte in seiner Predigt beim Gedenkgottesdienst das Gebot der Feindesliebe, das Jägerstätter vorgelebt habe: „In seinem Zeugnis leuchtet Hoffnung auf, die auch die Täter und Verführten miteinschließt“.

Der Innviertler Landwirt und Familienvater Franz Jägerstätter hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, mit der Waffe für das NS-Regime in den Krieg zu ziehen. Daraufhin wurde er vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und vor 80 Jahren, am 9. August 1943, in Brandenburg an der Havel durch Enthauptung hingerichtet.

Das jährliche Jägerstätter-Gedenken wird von der christlichen Friedensinitiative Pax Christi und der Pfarre St. Radegund organisiert. Es begann am Abend des 8. August mit einem Abendgebet in der Kirche von St. Radegund. Zum eigentlichen Gedenktag am 9. August kamen rund 150 Personen. Mit Teilnehmer:innen aus Österreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Frankreich und den USA war die internationale Bedeutung Jägerstätters in diesem Jahr besonders spürbar. Unter den Teilnehmenden waren u. a. die drei Jägerstätter Töchter und weitere Mitglieder der Familie, Bischof Manfred Scheuer, Jägerstätter-Biografin Erna Putz, Alt-Landeshauptmann Josef Pühringer, die Direktion des Österreichischen Pastoralinstituts Gabriele Eder-Cakl, der Bürgermeister von St. Radegund Simon Sigl, und Andreas Schmoller und Verena Lorber vom Franz und Franziska Jägerstätter Institut der KU Linz.

Am Vormittag stellten im Pfarrheim Tarsdorf Andreas Schmoller und Verena Lorber vom Franz und Franziska Jägerstätter Institut Linz die neue digitale Jägerstätter-Edition vor. Diese wurde von der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz und dem dort angesiedelten Franz und Franziska Jägerstätter Institut (FFJI) herausgegeben und beinhaltet den bisher umfassendsten Bestand an Schriften und Korrespondenzen des seliggesprochenen Kriegsdienstverweigerers und Märtyrers. Die Schriften sind über die eigens eingerichtete Webseite https://edition.jaegerstaetter.at frei zugänglich.

Die Franz und Franziska Jägerstätter Edition zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen ungewöhnlichen Quellenbestand aus Familienbesitz einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. „Die Edition wurde mit dem Ziel konzipiert, sowohl für die akademische als auch für pädagogische und individuelle Nutzung neue Akzente zu setzen“, betont Institutsleiter Schmoller. Mit der Edition werden alle Schriften von Franz Jägerstätter in vollem Umfang und chronologisch abgebildet. „Außerdem werden erstmals Korrespondenzen und Schriftwechsel eingebunden, die zwischen den Jägerstätters und anderen Personen bestanden“, erklärt Lorber. Es handelt sich dabei um 183 Briefe und Karten.

Franziska Jägerstätter ist es zu verdanken, dass die historisch bedeutenden Quellen heute zur Verfügung stehen und digital aufbereitet werden konnten. Seit 2018 befinden sich diese durch eine Schenkung im Besitz der Diözese Linz und werden durch das Franz und Franziska Jägerstätter Institut inventarisiert, katalogisiert und wissenschaftlich erforscht.

Dieser Quellenbestand bildet den Hauptteil der Edition, konnte aber um weitere Briefe und Lebensdokumente aus anderen Sammlungen erweitert werden. „Die Edition umfasst insgesamt 370 schriftliche Quelle, die in Buchseiten gerechnet rund 1.000 Seiten entsprechen“, fasst Lorber zusammen. In der digitalen Umgebung befinden sich Bilder der Originalschriften in individueller Handschrift neben mehreren Textfassungen, aus denen je nach Interesse ausgewählt werden kann. Eine Fotosammlung mit über 50 Fotografien bieten zudem einen visuellen Einstieg in die Lebensgeschichte der Familie Jägerstätter.

Im Anschluss referierte der Asylexperte und Chefredakteur von aysl aktuell Herbert Langthaler zum Thema „Verfolgungsgrund Kriegsdienstverweigerung“. Langthaler stellte in seinem Vortrag die aktuellen Bezüge der Wehr- bzw. Kriegsdienstverweigerung im Kriegsfall her. Er thematisierte dabei die rechtlichen Aspekte, angefangen von der Bedeutung der Genfer Menschenrechtskonvention als wichtigstes internationales Dokument für den Schutz von Flüchtlingen bis hin zur Situation in Österreich. Mithilfe anschaulicher Fallbeispiele von Menschen aus Ländern wie Russland, Afghanistan, Syrien, Belarus oder der Ukraine analysierte er die unterschiedlichen Praktiken der österreichischen Asylpolitik und wagte trotz zahlreicher erkennbarer Ungerechtigkeiten einen optimistischen Ausblick auf die Zukunft.

Im Rahmen der diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten von 8. bis 9. August 2023 in St. Radegund wurde auch die neu in Deutsch und Englisch erschienene Broschüre „Franz Jägerstätter. Leben und Erinnerung“ vorgestellt. Die Broschüre zum 80. Todestag bietet einen Überblick zum Leben von Franz und Franziska Jägerstätter und enthält neues Bildmaterial. In eigenen kurzen Kapiteln werden die Kontroversen und Würdigungsformen in Gesellschaft, Kirche und Kunst sowie am Gedächtnisort St. Radegund thematisiert. Personen aus Öffentlichkeit, Kirche und Kultur haben mit Statements die Bedeutung Jägerstätters hervorgehoben. Ein pädagogischer Ausblick auf die Chancen zukünftiger Beschäftigung mit der Biografie rundet die Publikation ab.

Am Nachmittag führte eine gemeinsame Fußwallfahrt von Tarsdorf nach St. Radegund, wo um 16 Uhr eine Andacht zur Todesstunde von Franz Jägerstätter gefeiert wurde. Den abschließenden Gedenkgottesdienst in der Pfarrkirche St. Radegund um 19.30 Uhr feierte Bischof Manfred Scheuer mit den Teilnehmenden. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Kirchenchor der Pfarre St. Radegund.

Bischof Manfred Scheuer betonte in seiner Predigt die innere Freiheit, die sich Franz Jägerstätter in der Diktatur und im Gefängnis bewahrt habe. Die äußere Gefangenschaft sei für Jägerstätter ein Ort der inneren Freiheit und des Friedens gewesen. Scheuer erinnerte in diesem Zusammenhang an eine Szene aus dem Film „Ein verborgenes Leben“ von Terrence Malick: Der Pflichtverteidiger legt Franz Jägerstätter eine Erklärung vor, mit der dieser sein Nein zum ungerechten Krieg widerrufen soll: „Unterschreiben Sie, und Sie sind frei!“ – „Ich bin ja frei“, so die verblüffende Antwort Jägerstätters. Scheuer wörtlich: „Der äußere Verblendungszusammenhang führte zu keiner Abstumpfung des Gewissens, die Meinung der Massen nicht zur Anpassung seiner Urteilskraft, die Nazi-Ideologie nicht zur Menschenverachtung und Gottlosigkeit, die äußere Unfreiheit nicht zur Knechtung des Willens, das Gehabe der Macht der Starken nicht zum Willen zur Macht.“ Jägerstätter habe nach seiner Verurteilung zum Tod an seine Frau Franziska geschrieben: „Wenn ich sie [diese Worte] auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre. Nicht Kerker, nicht Fesseln auch nicht der Tod sind es imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben. Gottes Macht ist unbesiegbar.“

Franz Jägerstätter habe „nicht zu groß von der Macht der Nazis gedacht und nicht zu klein von den Möglichkeiten Gottes mit ihm“, so der Bischof: „Er hat die Wahrheit gelebt in einer Welt der Lüge, die Liebe in einer Welt der Verachtung, er hat das Leben geliebt in einer Welt des Totenkopfes. Und er hat geglaubt in einer Welt der Blindheit und der Verblendung. Er hat mit seiner Entscheidung, mit seinem Zeugnis das Taufbekenntnis, die Absage an das Böse und das Glaubensbekenntnis verleiblicht.“ Franz Jägerstätter habe nicht „alle Möglichkeiten“ gehabt, er sei nicht einer der „Mächtigen“ gewesen, die die Welt wieder ins Lot richten konnten. „Den Krieg konnte er nicht beenden, die Nationalsozialisten nicht stoppen. Angesichts der Übermacht der Bosheit ist er aber auch nicht in die Ohnmacht oder in die Resignation geflüchtet. Er hat buchstabiert, was er vom Evangelium verstanden hat. Er hat umgesetzt, was Nachfolge Jesu in seiner geschichtlichen Stunde war. Er hat nicht gewartet, bis es bessere Umstände für den Glauben und das Bekenntnis gibt“, unterstrich Scheuer.

Franz Jägerstätters Entscheidung sei „nicht einfach vom Himmel gefallen“, sondern gewachsen und gereift. „Franz Jägerstätter war ein betender Mensch und er hat getan, was er als Recht und Gerechtigkeit erkannt hat. Darin lässt er den Himmel aufleuchten“, so der Bischof. Scheuer zitierte aus dem Abschiedsbrief von Franz Jägerstätter vom 9.8. 1943, in dem es heißt: „Ich verzeihe allen von Herzen. Möge Gott mein Leben hinnehmen als Sühn-Opfer nicht bloß für meine Sünden, sondern auch für andere.“ Franz Jägerstätter habe das Gebot der Feindesliebe gelebt; er wollte Gewalt nicht mit Gewalt beantworten. Bischof Scheuer: „Weil Franz Jägerstätter sein Leben und auch sein Sterben so verstanden hat, kann sein Gedächtnis heute zum offenen Raum für Erzählen, Bekenntnis, Reue und Umkehr, Vergebung und Hoffnung werden. In seinem Zeugnis leuchtet Hoffnung auf, die auch die Täter und Verführten miteinschließt. So verleiblicht er die Seligpreisung der Sanftmütigen, derer, die keine Gewalt anwenden.“

Den Schlusspunkt bildetet eine Lichterprozession zur Grabstätte von Franz und Franziska Jägerstätter.

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