Die friedenspolitische Botschaft des Propheten Jona: Von der Umwandlung des Bösen

Ansprache von Klaus Heidegger beim Friedensgottesdienst am 9. Februar 2023 in der „Kirche im Herzen der Stadt“/ Innsbruck

1:1 Es erging das °Wort Adonajs an Jona, Sohn Amittais: 2»Steh auf! Geh nach Ninive, in die riesige Stadt! Rufe gegen sie aus, denn ihre Bosheit ist bis vor mein Angesicht hinaufgedrungen«. 3 Da stand Jona auf, jedoch um vor Adonajs Angesicht nach Tarschisch zu fliehen. Er stieg nach Jafo hinab, fand ein Schiff, das im Begriff war nach Tarschisch zu fahren, bezahlte Fahrgeld und stieg ein, um mit ihnen nach Tarschisch zu fahren – nur weg von Adonajs Angesicht.

3:6 Als das °Wort den König von Ninive traf, erhob er sich von seinem Thron, tat sein Herrschaftsgewand ab, zog Sackzeug an und setzte sich in den Staub. 7 Er ließ in Ninive ausrufen und auf Erlass des Königs und seiner Großen kundtun: »Menschen und Tiere, Groß- und Kleinvieh, sollen überhaupt nichts zu sich nehmen, sie sollen weder essen noch Wasser trinken. 8 Sie sollen sich in Sack und Asche kleiden, Mensch und Tier, und zu Gott mit Macht rufen. Jeder und jede soll vom bösen Weg umkehren und von der Gewalttat, die an ihren Händen klebt.(…) Gott sah ihr Tun, dass sie umkehrten von ihrem bösen Weg …

Hinführung

Von der Umwandlung des Bösen und der Umkehr des Feindes: Mit diesen Worten könnten wir die Botschaft aus dem Prophetenbuch Jona auf den Punkt bringen. Zu unserer religiösen Grundbildung zählt seit der Kindheit das kleine prophetische Buch Jona. Es ist eine Legende, die uns verdeutlicht, wie wir in kriegerischen Situationen zum Frieden kommen können, vor allem aber: wie ein Volk sich in einer extremen Unterdrückungssituation und nach traumatischen Erfahrungen von militärischen Eroberungen verhalten kann. Unsere erste Assoziation bei der Jonageschichte ist der Walfisch, der den Propheten auf seiner Flucht vor seinem Auftrag zunächst verschluckt hat und dann aber wieder ausspuckt.

In zwei Wochen ist es ein Jahr her, seit Russland völkerrechtswidrig in die Ukraine eingedrungen ist. Fast ein Jahr dauert der Krieg mit unmessbarem Leid, Zerstörung, mit Abertausenden getöteten Soldaten auf beiden Seiten, mit Hunderttausenden auf der Flucht. Schätzungen gehen davon aus, dass allein auf russischer Seite 200.000 Soldaten gestorben oder schwerst verwundet worden sind. Große Städte in der Ukraine sind dem Erdboden gleich gemacht worden und in den eroberten Gebietender Ostukraine sind ganze Landstriche entvölkert. Wenn wir auf die Politik der Herrschenden heute schauen, so stellen wir mit Schrecken fest: Dieser Krieg wird noch lange dauern. Es ist ein Stellungskrieg und ein Abnützungskrieg, in dem weiterhin Tausende sterben werden. Für die kommenden Monate sind Offensiven und Gegenoffensiven geplant. Dafür wird auch der Westen noch mehr Waffen liefern und gerade in diesen Tagen reist der ukrainische Präsident nach England, Frankreich und zur EU nach Brüssel und fordert auch die Lieferung von Kampfjets. In diesem kriegerischen Kontext lautet die Frage nun: Welche friedenspolitische Bedeutsamkeit hat dieses biblische Büchlein, das für uns das Wort Gottes ist? Drei Verse aus diesem Buch haben wir gerade auf Deutsch und auf Ukrainisch gehört. Ich möchte mich der Kürze wegen auf die drei Hauptakteure im Jonabuch beschränken: Erstens geht es um den König von Ninive, zweitens um den Propheten Jona und drittens um Gott* selbst.

Die Stadt Ninive und das assyrische Großreich

Ninive ist die Hauptstadt des assyrischen Großreiches. Es hatte im Vergleich mit der Gegenwart die Ausmaße vom russischen Großreich. Ninive war sehr groß, heißt es im Buch Jona mehrmals. Der Prophet Jona brauchte drei Tage, so lesen wir im Buch, um von einem Ende Ninives zum anderen zu gelangen. Von Ninive bzw. Assur aus wurde zuerst das Nordreich Israel und dann das Südreich Juda erobert. In den eroberten Gebieten wurde dort fast alles dem Erdboden gleichgemacht. Schilderungen von den Eroberungen der beiden Reiche Israel und Juda erinnern mich an die Kriegsbilder in der Ukraine. Ninive war das Zentrum des assyrischen Großreiches. Die Assyrer hatten eine brutale Kriegstechnik. Dazu zählten auch Einschüchterung und Propaganda. Noch heute können wir im British Museum auf den Tontafeln sehen, wie grausam die Assyrer bei ihren Eroberungen vorgegangen sind. Ein Völkerrecht gab es nicht. Der Prophet Jesaja spricht einmal von einer Walze, die wie ein Bienenschwarm aus dem Norden kommt und alles überrollt. Die Assyrer galten jedenfalls für die Juden als „der Feind aus dem Norden“. Ninive ist das Zentrum des imperialen Feindes, von einem Reich, das sich immer weiter ausdehnt und die Selbständigkeit anderer Völker missachtet. In diese Stadt Ninive wird ein einzelner Prophet von Gott* gesandt, ein Prophet, der einem Volk entstammt, das besiegt und brutal erobert worden ist. Gott* hat Pläne, die so ganz der Kriegslogik entgegen laufen.

Jona und ein Gott*kraft, die Umkehr will

Jona ist ungehorsam. Das göttliche Wort, das an ihn ergeht, dem Volk in Ninive die Zerstörung wegen seines Unrechts anzukündigen, will er nicht erfüllen. Er flieht vor dieser Sendung. Warum flieht er? Erstens hat Jona schlichtweg Angst. Irmtraud Fischer, Professorin an der Universität Graz für das Erste Testament, spricht sogar von einem Trauma, das Jona erlitten hat. Jona verhält sich wie ein Traumatisierter. Jona ist ein vom Unrecht und von Gewalttaten der Assyrer Traumatisierter. Im Wissen, wie brutal der assyrische König ist, flüchtet er in die entgegengesetzte Richtung. Nicht nach Ninive geht er, sondern nach Tarschisch macht er sich auf. Da wäre er weit entfernt vom assyrischen König. Jona ist ein von Angst Getriebener.

Auch die Weltpolitik handelt angstgetrieben: Die Angst vor Russland. Die Angst vor Putin. Diese Angst treibt die Europäische Union dazu aufzurüsten: Allein bis 2025 wird das Verteidigungsbudget aller EU-Staaten um 200 Mrd. Euro erhöht werden. Die Rüstungsspiralen drehen sich auch an anderen Orten dieser Welt. Tarschisch heute: Das sind die Kriegsindustrien. Das sind die Leopard-2-Kampfpanzer. Und morgen vielleicht schon: Die Kampfjets, die in die Ukraine geliefert werden, die erst gestern als „Wings for freedom“ bezeichnet wurden und an denen heute schon ukrainische Piloten ausgebildet werden. Und übermorgen: Die taktischen Atomwaffen?

Zweitens glaubt Jona nicht, dass es überhaupt etwas bringen würde, nach Ninive zu gehen und dort die Umkehr zu predigen. In seiner Wahrnehmung tickt Gott* nicht richtig. Nein, der König von Ninive würde ohnehin nicht umkehren. Aus seiner Sicht ist Assur so böse, dass es gar nicht umkehren kann, dass es gar nicht von seinem bösen Tun ablassen kann. Für Jona ist fix: Die Zerstörung von Ninive muss sein – so wie Sodoma und Gomorrha. Atombombe auf diese Stadt, könnten wir uns heute denken. Verhandlungen bringen da nichts. Das Einzige was zählt: Der Sieg über den Feind, der letztlich seine Vernichtung zum Ziel hat. Der „totale Krieg“ – ein Wort, das so schwer belastet ist und erst kürzlich auch vom ukrainischen Präsidenten in den Mund genommen worden ist.

Drittens schließlich bleibt Jona gefangen im Denken von Rache und Vergeltung. Ninive müsste zerstört werden, weil Ninive so böse sei. Im Buch Jona gibt es inmitten von dieser Gewaltsituation und den Rachephantasien die zärtliche Legende vom Rizinusstrauch. Dieses Gewächs, das Gott* für Jona wachsen lässt, gibt dem Jona Schatten und Sicherheit, während er darauf wartet, dass Ninive zerstört wird. Da aber verdorrt der Rizinusstrauch und Jona ist empört. Es kommt nun zur göttlichen Anfrage: Warum jammerst du über den Verlust dieser Pflanze, während du auf die Zerstörung der großen Stadt Ninive sinnst?

Die göttliche Kraft der Gewaltfreiheit

Adonai, der Herr, ist letztlich der dritte Akteur – die Hauptperson im ganzen Erlösungsdrama. Gott*, so die eindeutige Botschaft aus dem Buch Jona, ist eine Kraft, die erstens nicht die Vernichtung des Feindes, nicht die Auslöschung des Aggressors, nicht die Demütigung der Unterdrücker, nicht den Sieg über den Feind, nicht einen Siegfrieden will, sondern die Umkehr des Feindes, den Ausstieg aus den Spiralen von Gewalt und Gegengewalt. Zweitens schickt Gott Propheten und Prophetinnen, die beauftragt sind, diese Umkehr zu verkündigen. Wir könnten sie heute als Friedensverhandlerinnen und Friedensverhandler bezeichnen, als Menschen, die zur Waffenruhe, zum Waffenstillstand aufrufen, zu einem Verhandlungsfrieden und zum Dialog zwischen den „Waffenbrüdern“.

So ist das Buch Jona eine biblische Hoffnungsbotschaft in dieser kriegerischen Zeit. Selbst der schlimmste Feind ist bereit zur Umkehr, wenn es Menschen gibt, die dazu ermutigen, wenn nicht mehr Kriegslogik herrscht, sondern eine andere Stimme – die göttliche Stimme, wenn nicht mehr Rache und Vergeltung die Politik bestimmen, sondern Vertrauen auch in die Umkehrmöglichkeiten. Jesus sprach von der Feindesliebe. Jesus sprach „selig, die keine Gewalt anwenden“ und versprach ihnen, dass sie diejenigen sind, die „das Land erben werden“. Deswegen sind wir heute wohl hier bei diesem Friedensgebet. Als Gottgläubige vertrauen wir auf einen Weg, der so gar nichts mit Waffenlieferungen, mit Aufrüstung, mit Generalmobilmachungen zu tun hat. Der Gott* des Jona ist ein Gott*, der darauf baut, dass selbst der schlimmste, der brutalste Feind umkehren kann. Voraussetzung dafür ist der Schritt auf den Feind hin, den Jona zunächst aber nicht machen will. Es ist ein Gott, der die Umkehr und damit die Rettung des Feindes will. Hildegard Goss-Mayr hat ein wunderbares Buch geschrieben mit dem Titel: „Wie Feinde Freunde werden.“

Heute können wir uns als Christinnen und Christen fragen: Wie steht es mit unserer Sendung? Wie gehen wir mit dem Wort Gottes um? Fliehen wir auch vor unserer Sendung, eine Botschaft des Friedens zu verkünden? Sind wir nicht auch oft wie Jona ungehorsame Prophetinnen und Propheten, die in die entgegengesetzte Richtung gehen, aus Angst, aus Feigheit, aus Resignation?

Die Umwandlung des Bösen

Dietrich Bonhoeffer hat in der schlimmsten Zeit, die die Menschheitsgeschichte je kannte, im Jahr 1942 ein Glaubensbekenntnis geschrieben. Bonhoeffer schreibt, ich zitiere: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“

Wenn wir einen Streifzug durch die biblischen Geschichten machen, so finden wir diesen Grundgedanken immer wieder. Es ist beispielsweise die Josefsgeschichte. Im Kapitel 44 der Genesis wird beschrieben, wie Josef von seinen Brüdern sehr Schlimmes angetan worden ist. Er wurde verraten, verkauft, abgeschoben. Das war böse! Gott sieht die Gewalttaten, sieht die Missetaten, sie werden nicht zugedeckt. Sie werden angesprochen! Im Kapitel 45 spricht Josef zu seinen Brüdern „Ihr gedachtet, es böse mit mir zu machen, doch Gott gedachte, es gut mit mir zu machen.“ So redet Josef zu seinen Brüdern, denen er aus der Kraft Gottes schon verziehen hat. Und weiters: „Habt ihr Böses gegen mich geplant, so hat Gott das Böse umgeplant zum Guten.“ Das Böse wird zum Rohmaterial des rettenden Handelns. Gott ersetzt nicht das Böse durch das Gute, sondern macht es zum Rohmaterial für das Gute. Das ist die Hoffnung. Im 3. Kapitel des Jonabuches steht der Vers, den wir zum Leitmotiv von diesem Friedensgebet machten und der auf dem Liederzettel abgedruckt ist: „Gott* sah ihr Tun, dass sie umkehrten von ihrem bösen Weg …“

Originalbeitrag zu finden auf http://www.klaus-heidegger.at/?p=8658

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