Die Ukraine in der Zerreißprobe

Am 25. Februar 2015 referierte der deutsche Friedensforscher Prof. Dr. Egbert Jahn im Linzer Wissensturm über den Interventions- und Bürgerkrieg, der die Ukraine und damit auch Europa seit April 2014 erschüttert.

Jahn spricht bewusst von Krieg und nicht von Krise, weil bis dato schon mindestens 7.000 Tote zu beklagen sind. (Dunkelziffern sprechen von bis zu 50.000 Toten). – Eine Veranstaltung der Friedensinitiative der Stadt Linz in Kooperation mit Pax Christi OÖ und der Volkshochschule Linz:

Die Ukraine ist schon seit Jahrzehnten polarisiert zwischen dem östlichem und dem westlichen Teil. Der östliche Teil ist mehr russisch-orientiert und ökonomisch auf Schwerindustrie fokussiert. Der westliche Teil ist westlich-orientiert und tendenziell ärmer. Diese Ost-West-Spannungen innerhalb der Ukraine konnten aber durch geschickte Politik austariert werden.

Auslöser für den Krieg war laut Jahn vor allem das EU-Assoziierungsabkommen, das die Ukraine vor eine Zerreißprobe gestellt hat: Die Europäische Union hat „mit Dummheit und Dilettantismus“ die Komplexität der ukrainischen Gesellschaft außer Acht gelassen und mit dem geplanten Freihandelsabkommen die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung und Russland vor den Kopf gestoßen. In der Folge setzte eine fatale Entwicklung: Präsident Janukowytsch wollte das Abkommen nicht unterschreiben. Die westlich-orientierte Maidan-Bewegung forderte seinen Sturz. Die Situation radikalisierte sich. Polizei und Demonstranten schoßen aufeinander. Der Präsident floh. Die Krim wurde von Russland annektiert. Östliche Teile der Ukraine erklärten sich als unabhängig und wollen den Anschluss an Russland. Seither herrscht Krieg. Weil die Separatisten von Russland unterstützt werden, kann die Ukraine diesen Krieg – laut Jahn – „sicher nicht gewinnen“.

Die gemäßigten wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland – im Zuge der Krim-Annektion – hält Jahn vor angemessen: Sie sind ein berechtigter symbolischer Protest gegen den Völkerrechtsbruch: Erstmals seit dem zweiten Weltkrieg hat eine Großmacht ihr Territorium ausgedehnt. Dagegen ist Protest einzulegen, wohl wissend, dass die Sanktionen Russland nicht umstimmen werden.

Friedenspolitisch fordert Jahn:

  • Waffenstillstand: Vermutlich wird dieser auch wieder brechen. Aber im Sinne der Schonung von Menschenleben gibt es keine Alternative, als immer wieder neue Anläufe zum Waffenstillstand zu unternehmen.
  • Abrüstung: Rückzug der schweren Waffen, keine Waffenlieferungen
  • Entwicklung einer Sicherheitspolitik, die Russland einschließt: Einen Frieden kann es nur mit Russland geben, also ist alles zu tun, was die Kooperation zwischen EU und Russland stärkt: wirtschaftliche Zusammenarbeit, militärische Kooperation stärken (NATO-Russland-Rat), Neutralität der Ukraine (sprich: NATO-Beitritt der Ukraine ausschließen)

Markus Pühringer (Pax Christi OÖ)