Hiroshima und das Prometheische Gefälle
Vor zehn Jahren, im März 2010 hatte ich im Anschluss an eine Konferenz in Kyoto auch die Gelegenheit, für einen Tag die Gedenkstätten und das Friedensmuseum in Hiroshima zu besuchen. Ich war allein unterwegs, besuchte die verschiedenen Denkmäler, die an den Abwurf der Atombombe über diese Stadt erinnern, und hielt mich auch ungefähr zwei Stunden im Friedensmuseum auf.
Die vielen Bild- und Tondokumente haben mir eindringlich die Zerstörungskraft und auch das dadurch verursachte menschliche Elend dieser ersten auf Menschen abgeworfenen Atombombe veranschaulicht. Gegen Ende meines Museumsbesuchs erfasste mich eine Übelkeit und eine depressive Stimmung, sodass ich das Museum umgehend verlassen musste. Ich konnte keine Schilderungen mehr ertragen, die berichten, wie brennende Menschen verzweifelt nach irgendeiner Flüssigkeit suchten, um die tödlichen Flammen zu löschen. Es wäre damals gut gewesen, mich gleich über die Bilder und Augenzeugenberichte mit jemanden austauschen zu können. Erst am späten Abend traf ich meine Freunde in Kyoto wieder.
Mein mich innerlich aufwühlender Besuch in Hiroshima ist ein kleines Beispiel für das „Prometheische Gefälle“, womit der Philosoph und Atomwaffenkritiker Günther Anders schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die Differenz beschrieb, die zwischen dem technisch Herstellbaren und dem menschlich Vorstellbaren besteht. Technisch ist es ein Kinderspiel eine Großstadt mit allen ihren Einwohnern in wenigen Minuten auszulöschen. Aber schon das Schicksal eines einzelnen Opfers dieser Kriegsgewalt ist menschlich kaum zu ertragen. Nach Anders „wissen wir nicht, was wir tun“, denn die Kluft zwischen unseren technischen Fähigkeiten und unseren emotionalen Möglichkeiten beschränkt unser Erkennen: „Herstellen können wir die Bombe. Aber uns vorzustellen, wer wir nun als Eigentümer dieses Selbsthergestellten geworden sind, und was wir als deren Eigentümer tun könnten, und bereits (in Hiroshima und Nagasaki) getan haben und täglich durch unsere nuklearen Experimente tun; und wie wir nun als deren Eigentümer zu handeln hätten, das uns vorzustellen, scheinen wir außerstande.“
Wollen wir heute unserer Verantwortung gerecht werden, so müssen wir alles in unserer Macht tun, um den weltweiten Abbau der atomaren Rüstung und aller Massenvernichtungswaffen voranzutreiben. Das jährliche Hiroshima-Gedenken ist ein guter Anlass, uns dieser drängenden Aufgabe wieder bewusst zu werden.
Wolfgang Palaver
Präsident von Pax Christi Österreich