01.03.2022 14:32
Innsbruck, 01.03.2022 (KAP) Am Ukraine-Krieg ist „auch der Westen nicht unschuldig“. Diese Einschätzung begründete der Präsident von Pax Christi Österreich und Innsbrucker Sozialethiker, Wolfgang Palaver, mit dem Hinweis darauf: „Wo immer in den letzten Jahren der Westen zum Mittel des Kriegs griff, lieferte er Gründe, die heute auch der russischen Führung zur Rechtfertigung dienen.“
Anstelle von Krieg müsse heute „prophetische Gewaltfreiheit“ treten, erinnerte Palaver an eine Aussage von Papst Franziskus vor wenigen Tagen. Es sei gut, dass der Westen in der Ukraine jetzt nicht selbst eingreift und so die „Eskalation zu einem Weltkrieg“ verhindere. Sanktionen, auch wenn sie „von uns Opfer verlangen“, müssten aber durchgesetzt werden, um deutlich zu machen, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf.
Wie der Theologe an der Spitze der Österreich-Sektion der katholischen Friedensbewegung in einem Beitrag für die Kirchenzeitung „Tiroler Sonntag“ (3. März) festhielt, verbiete die Charta der Vereinten Nationen jeden Angriffskrieg. Die Verteidigung der Ukraine zähle hingegen auch für die UNO zu jenen Fällen, in denen militärischer Widerstand erlaubt ist. Freilich: „Jeder Krieg hinterlässt die Welt schlechter, als er sie vorgefunden hat“, zitierte Palaver den Papst. Und: „Krieg ist ein Versagen der Politik und der Menschheit.“
Den Weltreligionen attestierte der Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Uni Innsbruck, die Bedeutung der Gewaltfreiheit in den letzten Jahren verstärkt betont und zur universalen Geschwisterlichkeit aufgerufen zu haben. Die Franziskus-Enzyklika „Fratelli tutti“, angestoßen durch das gemeinsam mit dem muslimischen Großimam Ahmad Al-Tayyeb formulierten „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“, sei dafür ein gutes Beispiel. Der Papst selbst distanziere sich in „Fratelli tutti“ von der klassisch-katholischen Lehre vom gerechten Krieg, weil damit viel zu oft „kriegerische Handlungen unzulässigerweise“ gerechtfertigt worden seien. Wenn Russland als Grund für die Invasion der Ukraine seine Verteidigung nennt, ist das laut Palaver „nur ein Beispiel für einen solchen Missbrauch“.
Die „religiöse Abkehr vom Krieg“ habe sich zuletzt auch in der Ukraine gezeigt, erinnerte der Sozialethiker: Das von Christen, Juden und Muslimen gebildete „Ukrainische Konzil der Kirchen und Religiösen Organisationen“ habe noch am Tag des Einmarschs den russischen Angriff verurteilt und zu Frieden und Loyalität mit der ukrainischen Regierung aufgerufen. „Das Erstaunliche an diesem gemeinsamen Appell“ sei, dass sich ihm auch alle in der Ukraine existierenden Vertreter der Orthodoxie anschlossen – auch die dem Moskauer Patriarchen unterstehende Ukrainische Orthodoxe Kirche. Religionen könnten Frieden und Geschwisterlichkeit stärken, „wenn sie sich ganz auf Gott einlassen, der für die Absage an die Gewalt steht“, folgerte Palaver.
Keine Chance für Gewaltfreiheit?
Das Verstummen der pazifistischen Stimmen in den vergangenen „schrecklichen Kriegstagen“ bedauerte der ebenfalls in „Pax Christi“ engagierte langjährige Friedensaktivist und Vorsitzende der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, Klaus Heidegger. Der Co-Autor eines „Handbuches zur Neutralität und Sicherheitspolitik“ vermisst, wie er in einem Blog schrieb, auch in den Medien Friedensforscher, die für „die Kraft der Gewaltfreiheit“ votieren. Stattdessen würden Militärexperten in Uniform das Geschehen kommentieren, „das sie wohl am besten verstehen“.
Für Heidegger sitzt der „Haupttäter“ im Kreml, Putin entscheide „selbstherrlich über Krieg und Frieden“. Dennoch stelle sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines gewaltsamen Widerstands angesichts der massiven Gewalt der russischen Truppenverbände. Denn es drohe ein entsetzliches Blutbad, „wo auf beiden Seiten getötet und gestorben wird und die zivile Infrastruktur zerbombt wird“. Heideggers bange Frage: „Wird es zum Häuserkampf kommen und werden damit jene Bilder auch in europäischen Städten zu sehen sein, die wir kennen aus dem syrischen Bürgerkrieg?“
Der Religionslehrer und Pazifist erinnerte daran, dass das ukrainische Volk in den Jahren 2004 in der Orangen Revolution erfolgreich zivilen Widerstand leistete: „Damals wurden lehrbuchmäßig die Instrumentarien und Taktiken gelebt, die zum Sturz eines unrechtmäßigen Regimes führen können, ohne dass irgendein Mensch stirbt.“ Heidegger berief sich bei der Option dafür auf die christliche Botschaft der Gewaltfreiheit und der Feindesliebe: „Ist sie nur ein Programm für friedliche Zeiten und gilt nicht in den Stunden des Krieges?“
Die Antwort der christlichen Kirchen in Europa sei zwar „tendenziell pazifistisch geprägt“, eine ausdrückliche Ermutigung zu einem Verzicht auf militärischen Widerstand vermisst der Theologe jedoch.