Katholische Christen und der 1.Weltkrieg

„Der Kaiser ruft – Gott ruft“ Unter diesem Titel veröffentlichte pax_zeit  (1_2014), die Pax Zeitung von Deutschland interessante Überlegungen von Heinrich Missalla. Er war geistlicher Beirat von Pax Christi Deutschland.

Als die deutschen Truppen im Juli 1914 unter dem Jubel der
Bevölkerung und dem Läuten der Glocken zum Kampf ausrückten,
ahnte niemand, dass knapp ein Jahr später Papst
Benedikt XV diesen Krieg ein „Morden“ und „Gemetzel“
nennen würde und ihn als „entsetzliches Blutbad“, „Wahnsinn“
und „Selbstmord des zivilisierten Europa“ bezeichnete.
Schier unbegreiflich erscheint heute, was in den Kirchen
damals gepredigt wurde. Bischöfe wie Michael von Faulhaber
oder Paul Wilhelm von Keppler, bekannte Professoren
wie der Alttestamentler Norbert Peters oder der Dogmatiker
Engelbert Krebs und viel gelesene theologische Schriftsteller
wie Joseph Bernhart oder Peter Lippert haben einmütig
dem Krieg und dem Vaterland eine religiöse Weihe
verliehen. In der damals vom Klerus am meisten gelesenen
Predigtzeitschrift „Chrysologus“ schrieb der bekannte Theologe
Otto Karrer viermal auf einer Seite: „Der Kaiser ruft –
Gott ruft“. Innerhalb kurzer Zeit waren eine Fülle von Büchern
und Broschüren mit Kriegspredigten auf dem Markt.
Ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn gab es 112 „katholische“
Titel von Kriegsschriften mit religiösem Charakter, davon
62 Predigt- und 50 Kriegs- und Soldatenbücher – ohne die
Zeitschriftenliteratur, „die nun allesamt auf den Krieg eingestimmt“
waren.

Der Krieg als „heilige Zeit“ verklärt
Die Prediger erlebten den Krieg zunächst als einen Durchbruch

elementarer Kräfte in einer müde und kraftlos gewordenen
Zeit, als einen unerwarteten Anstoß zu religiöser
und moralischer Neubesinnung. Sie jubelten, weil die
Kirchen über Nacht wieder gut besucht wurden. „Was kein
Bußprediger, keine Mission fertiggebracht hat, das ist dem
Krieg mit einem Schlag gelungen; er hat aus gottvergessenen
Weltkindern hilfesuchende Gotteskinder gemacht!“ So
wurde der Krieg „Deutschlands größte Zeit“, „heilige Zeit“
und „Zeit der Gottesnähe“ genannt. Er sei der „Tag, den
Gott gemacht“ hat, eine „Zeit der Gnade“. Weil man überall
eine religiöse Umkehr zu erkennen glaubte, zitiert man das
Wort Moltkes, der Krieg sei ein „Element der von Gott eingesetzten
Weltordnung“, durch das die Menschen vom Bösen
weggeführt und in ihrem Charakter geformt würden. Und:
„Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.“
In ihm entwickelten sich „die edelsten Tugenden“:
Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit. Nicht
wenige sahen darüber hinaus im Krieg eine Offenbarung
Gottes, der nun „sehr vernehmlich … mit Kanonendonner,
mit Blut und Eisen“ durch die Welt gehe. Bischof von Faulhaber
verglich den Krieg mit der „Erscheinung des Herrn im
Dornbusch, die uns lehrt, vor dem Heiligtum in Ehrfurcht
die Schuhe von den Füßen zu ziehen“.
Wohlgemerkt: Der Krieg wurde nicht begrüßt und gefeiert,
weil man ihn liebte. Im Krieg sah man vielmehr ein unerwartetes
Mittel, eine kaum mehr für möglich gehaltene
religiös-sittliche Erneuerung Deutschlands und der Welt
einzuleiten. Bischof von Faulhaber war der Meinung: „Die
schwerste Niederlage in diesem Weltkrieg ist der Kreditverlust
des Atheismus und anderer fremden Götter von ähnlichem
Kaliber.“ Bei solcher Sichtweise ist es nicht mehr
verwunderlich, wenn ein Prediger sich zu der Äußerung verstieg:
„Gerade unsere Mutter die Kirche begrüßet von Herzen
den großen eisernen Besen.“

Wenn wir dem Staat gehorchen, gehorchen wir Gott
Denn Gott hat den Krieg befohlen

Ordnung und Gerechtigkeit, das Gute und der Wille Gottes
werden durch Deutschland repräsentiert, Frankreich hingegen
steht für Unmoral, Unzucht und Gottlosigkeit. Wenn es
wirklich um die Zukunft der Menschheit geht, wenn wirklich
die Ordnung Gottes auf dem Spiel steht, dann ist der
Gedanke nicht mehr fern, Deutschland habe einen Kreuzzug
zu führen: „Es ist ein heiliger Krieg, in den unsere Krieger
hineingerissen wurden, denn er steht im Einklang mit
dem heiligen Willen der Gottheit.“ Was aber kann ein religiöser
Mensch anderes tun als sich der Sache Gottes zu
verschreiben?

 

Die Zuverlässigkeit gegenüber Kaiser und Reich zeigte sich
vor allem im Gehorsam gegenüber der Obrigkeit

„Wir behaupten, dass die Katholiken zu den besten und
treuesten Untertanen gehörten und noch bis zur Stunde
gehören.“ – „Wer als Soldat nicht gehorchen wollte, wäre
ein Verräter, ein Verbrecher an der Kraft und an der Festigkeit
und am Siege des deutschen Volkes und Heeres. Kameraden!
Wahret diese heiligsten Güter des glorreichen
deutschen Heeres, seid treu im Gehorsam! … Jesus, unser
Feldherr, lehre uns gehorchen!“ Der Gehorsam wurde gewissermaßen
zum Kennzeichen des echten katholischen

Christen. So konnten die deutschen Bischöfe noch 1917, als
sich bereits allgemeine Kriegsmüdigkeit ausbreitete, in einem

gemeinsamen Hirtenbrief sagen: „Wir wissen ja, daß
jeder, der sich der obrigkeitlichen Gewalt widersetzt, sich
der Anordnung Gottes entgegenstellt, und die sich dieser
entgegenstellen, ziehen sich selber die Verdammnis zu.“ In
den Obrigkeiten spiegelte sich „gewissermaßen das Bild der
göttlichen Macht und Vorsehung über den Menschen“, man
musste für sie beten, aber vor allem musste man ihnen gehorchen.
„Wenn wir dem Staat gehorchen, gehorchen wir
Gott. Denn Gott hat den Krieg befohlen.“
Diese Mischung aus Rechtfertigung und Verherrlichung
des Krieges, Sanktionierung der bestehenden Ordnung undVerpflichtung zum Gehorsam, nationalistischer Blickverengung,
Verharmlosung des Todes, Spiritualisierung des Friedensund einer verfälschenden Deutung göttlichen Handelns
dürfte in der Geschichte der Kirche einmalig sein. Der
gute Wille und die persönliche Integrität der Prediger haben
ebenso wenig wie ihre „Rechtgläubigkeit“ verhindert,
dass sie den Gläubigen einen Weg gewiesen haben, den wir
nur als verhängnisvoll bezeichnen können.
Mit dem Krieg war eine Welt zusammengebrochen – auf
die Theologie und das kirchliche Leben hatte der Krieg keine
erkennbaren Auswirkungen: Man lehrte und machte
weiter wie bisher, als hätte es die Kriegskatastrophe nicht
gegeben, blind für die Zeichen der Zeit, taub für prophetische
Stimmen, die vor den Gefahren des Nationalismus
und des Militarismus warnten. Die zahlenmäßig kleine
Gruppe, die sich im ‚Friedensbund deutscher Katholiken’
zusammenfand und die eine beachtliche friedensethische
und friedenspolitische Arbeit leistete, konnte keinen nennenswerten
Einfluss auf das kirchliche Leben und auf die
Politik gewinnen. Der fast völlige Ausfall einer Reflexion des

Ersten Weltkriegs in Theologie und Kirche dürfte eine der
Ursachen dafür sein, dass die deutschen Katholiken auch

25 Jahre später gehorsam und opferbereit bis zum bitteren
Ende ihre vermeintliche Pflicht erfüllten.