Ukraine – Europa kann nur verlieren wenn der Weg der politisch-militärischen und wirtschaftlichen Konfrontation gegangen wird
Die Situation im Osten und Süden der Ukraine hat sich in den letzten Wochen immer mehr verschärft. Wenn die Regierung in Kiew dies auf ausländische Einmischung durch Russland zurückführt, so lenkt sie damit von eigenen politischen Fehlern in Bezug auf eine nationale Versöhnung ab. Neben der Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Lage der Menschen sind die Unruhen nämlich auch auf das Versagen der Zentralregierung zurückzuführen, den Menschen im Osten des Landes Gleichberechtigung und volle Teilhabe in einem vereinten ukrainischen Staat zuzugestehen. Die militärischen Reaktionen der ukrainischen Übergangsregierung sind unserer Beobachtung nach nicht auf nationale Verständigung, sondern auf Konfrontation angelegt und stellen eine große Gefahr dar!
'Separatistische Provokationen' in der Ostukraine – von wem auch immer – können nicht durch Militäreinsatz bekämpft werden. Der sogenannte „Anti-Terror-Einsatz' kann nur als bewusste Eskalationen des Konflikts betrachtet werden. (In diesem Zusammenhang erscheint eine Beobachternission im Rahmen der OSZE als sinnvoll.) Man muss verstehen, dass die angedrohte Abschaffung des Russischen als Amtsprache – als einer der ersten Akte der Übergangsregierung – in den Ostgebieten der Ukraine sowie die Bildung einer Regierung ohne Einbeziehung russisch-sprachiger Minister ein nachhaltiges Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern in Kiew aufgebaut hat. Hier hilft nur ein nationaler Dialog!
Die einseitige Unterstützung der ukrainischen Übergangsregierung durch westeuropäische Staaten bei gleichzeitigen Sanktionsankündigungen gegen Russland sind nicht hilfreich. US-amerikanische Sanktionen stellen sich aus unserer Sicht als Einmischung in europäische Belange dar und müssen zurückgewiesen werden. Es ist jetzt Europa und speziell die EU als Vermittler gefragt. Europa soll in seinen Beziehungen zu Russland im allgemeinen sowie in Bezug auf die Lösung der Ukraine-Krise im besonderen auf Diplomatie, politischen Dialog und die Weiterentwicklung der ökonomischen Zusammenarbeit setzen. Sanktionen schaden außerdem auch den EU-Staaten selbst. Die schnellen Sanktionsforderungen legen auch die Sicht nahe, dass es den Drahtziehern in diesem Konflikt primär um Märkte und wirtschaftliche Vorteile geht.
Wir hegen Zweifel, ob die Präsidentenwahlen am 25. Mai unter fairen Bedingungen für alle Regionen ablaufen können. Freie und demokratische Wahlen lassen sich in so kurzer Zeit kaum organisieren, zumal in manchen Regionen de facto ein Ausnahmezustand herrscht! Außerdem ist unklar, welche die künftigen Befugnisse des jetzt zu wählenden Präsidenten sein werden, da der Ukraine ja eine umfassende Verfassungsreform bevorsteht, die aber erst von einem neugewählten Parlament beschlossen werden soll. Bisher ist aber weder ein Zeitplan für die Verfassungsreform noch ein Termin für die Parlamentswahlen bekannt. Minderheitenrechte müssen nicht nur von der Übergangsregierung respektiert, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der künftigen neuen Verfassung sein.
Eine EU-Assoziierung der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt ist kaum durchführbar! Eine wirtschaftliche Anbindung würde nicht nur die Spaltung der Ukraine vertiefen, sondern derzeit auch viele EU-Staaten überfordern die noch immer mit der Bewältigung der Schuldenlast der Bankenkrise konfrontiert sind. Eine NATO-Erweiterung nach Osten (Stichwort 'dauernde Truppenpräsenz') ist abzulehnen. Dies würde nur vereinzelten geopolitischen Interessen in den USA zurecht kommen. Die Ukraine sollte als blockfreies bzw. neutrales Land seine Zukunft in der Mitte Europas haben.
Unsere Beobachtungen zur Ukraine-Berichterstattung der letzten Wochen – speziell in den Massenmedien – zeigen: Europa braucht keine neuen Feindbilder! Die Diktionen 'die Russen', 'Putin', 'der böse Osten' in Zeitungen und Berichten wecken Erinnerungen an den Feindbildaufbau vor dem 1. und 2. Weltkrieg. Diese Erinnerungen sagen uns, dass alle medialen Vereinfachungen friedensgefährdend sind!
Für Pax Christi: Dr. Jussuf Windischer und Dr. Meinrad Schneckenleithner