Paula Abrams-Hourani engagiert sich bei den 'Frauen in Schwarz Wien', die sich für einen gerechten Frieden zwischen Palästina und Israel einsetzen. In diesem Bericht erzählt sie von ihren Aktivitäten und Zielen sowie über persönliche Hintergründe und Motive, sich zu engagieren.
Warum Israel/Palästina?
Ich bin in Cleveland, Ohio, in einer säkularen, jüdischen Mittelklassefamilie aufgewachsen. Meine Eltern waren politisch sehr interessiert und fortschrittlich, und politische Diskussionen spielten in unserem Familienleben eine wichtige Rolle. Die 40er- und 50er Jahre waren eine besondere Zeit in der Geschichte der USA: Der Zweite Weltkrieg war zu Ende – und langsam wurden die Verbrechen gegen das europäische Judentum bekannt. Viele Juden waren entsetzt, als sie erfuhren. was das Nazi-Regime und seine Helfershelfer europäischen Juden angetan hatten. Eine Welle von Schuldgefühlen griff um sich: Warum haben wir nicht mehr zur Rettung jüdischer Flüchtlinge aus Europa getan? Meine Eltern waren nicht anders.
Daraus entwickelte sich eine grenzenlose Unterstützung der amerikanischen Juden für den 1948 gegründeten Staat Israel. Jeder fühlte, es müsse eine Heimat für jüdische Menschen geben, einen Platz der Zuflucht und Sicherheit, sollte je wieder die Gefahr der Verfolgung und Auslöschung drohen. Niemand wusste von den Palästinensern, einem Volk mit dem legitimen Recht, frei in diesem Land zu leben. Jegliche Diskussion über das dort lebende Volk von Palästina wurde einfach ignoriert oder verdrängt. Meine Familie, die nicht reich war, unterstützte den neuen Staat so gut sie konnte, hat aber Israel nie besucht. So wurde Israel für viele amerikanische Juden, auch für meine Eltern, zu einem Teil der jüdischen Identität.
Ich war 17, als meine Eltern aus beruflichen Gründen nach Nashville, Tennessee, in die Südstaaten umzogen. Das war meine erste Berührung mit Rassentrennung und Rassismus, getrennten Warteräumen und Trinkwasserhähnen – „nur für Weiße“ in Bahnhöfen und in vielen Restaurants. Damals habe ich mir geschworen, niemals in Nashville zu leben. Die Diskriminierung gegen Afroamerikaner war für mich unerträglich.
In den 80er Jahren war ich zum ersten Mal in Israel. Ich war tief beeindruckt von meinen Reisen, den Erfahrungen und den Leuten, die ich traf. Nie vorher hatte ich Juden aus allen Teilen der Erde getroffen. Damals – so seltsam es klingen mag – bemerkte ich die israelische Besetzung von palästinensischem Land überhaupt nicht. Natürlich realisierte ich die Diskriminierung von palästinensischen Arabern in Israel, aber mein Wissen darüber, was in Israel und in den besetzten Gebieten vorging, war sehr begrenzt. Von einem Freund, der die Besetzten Palästinensischen Gebiete öfter besucht hatte, erfuhr ich mehr über die wirkliche Situation in Israel, der enormen Diskriminierung und der Unterdrückung der Palästinenser in den besetzten Gebieten. In Wien gab es eine Initiative zur Bildung einer Freundesgruppe für ein Friedensdorf für Juden und Palästinenser in der Nähe des Latrun Klosters. Alle Bewohner dieses kleinen Dorfes, Neve Shalom – Wahat As Salam waren israelische Bürger, aber das Dorf erhielt wegen seiner politischen Einstellung keine Hilfe von der Regierung. Ich sammelte Geld für das Dorf, indem ich einen Benefizabend im Konzerthaus in Wien organisierte, der ein großer Erfolg war. Bald darauf lernte ich meinen Ehemann Fayssal kennen, einen Schriftsteller aus Al Masmiyya, Palästina (eines der mehr als 500 von den Israelis 1948 zerstörten Dörfer).
Damit begannen meine Reisen nach Gaza und in die Westbank.
Der erste Besuch in Gaza und in der Westbank Mitte der 90er Jahren war eine Offenbarung für mich. Meine anfänglichen Ängste wandelten sich in ein Glücksgefühl, durch die große Gastfreundschaft und Wärme, die mir die Menschen dort entgegenbrachten. Die Offenheit und Neugier der Kinder und Erwachsenen, von denen viele in überfüllten Flüchtlingslagern lebten war etwas, das ich nie erwartet habe. Die Straßen waren voll von Menschen. Es gab keinen Raum für diese Kinder, keine Spielplätze, nichts zu tun für sie, keine Einrichtungen, welche für Kinder in Israel, in Europa oder in den USA selbstverständlich sind. Es waren damals die Jahre des Optimismus, die Jahre der Hoffnung für den Frieden nach der Unterzeichnung der Oslo-Erklärung. Während meiner ersten Reise nach Gaza sagte mein Schwager, der Bruder meines Mannes, ein renommierter Arzt, Spitalsleiter und politischer Aktivist, er würde gerne eine Bibliothek für junge Leute im Jabalia – Flüchtlingslager einrichten. Es ist dies das Flüchtlingslager in dem die erste Intifada ausbrach.
Weil ich selbst Bücher liebe, entschloss ich mich, nach meiner Rückkehr nach Wien zu versuchen, Geld für dieses kleine Projekt zu sammeln. Das Glück wollte es, dass Leute und Organisationen in Wien bereit waren, etwas beizutragen. Der erste Beitrag kam vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst. Mein Sammeln fand seinen Höhepunkt in einer Benefizveranstaltung im Festsaal des Wiener Rathauses. Der Abend hieß: „Bücher für Gazas Kinder“. Bekannte Künstler waren bereit, ohne Honorar aufzutreten. Zum ersten Mal fand eine Kulturveranstaltung für palästinensische Kinder an einem so prominenten Ort statt, mit Fernsehen und Medienpräsenz. Die Bibliothek wurde gebaut und bald danach eröffnet. Diese Benefizaktion war eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens. Ich hatte mir geschworen, ich würde mit meinen eigenen Ersparnissen einspringen, wenn ich nicht genug Geld zusammen brächte. Das war jedoch nicht notwendig, denn es konnten Spenden in der Höhe von ca. $ 35.000 für die Errichtung der Bibliothek gesammelt werden
Während meiner Tätigkeit bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verwendete ich meine Aktivitäten um verschiedene Hilfssammlungen zu organisieren:
Unter anderem konnten an nur einem Tag ca. 110.000 Schilling für kurdische Flüchtlinge gesammelt werden, die dem 1. Krieg gegen den Irak entflohen waren. Für bosnische Flüchtlinge in kroatischen Flüchtlingslagern wurden Hilfsgüter und Spielsachen gesammelt, und für die jüdische Bevölkerung in Sarajewo konnten Lebensmittel und Kleidung gesammelt und in die belagerte Stadt transportiert werden.
Darüber hinaus veranstaltete ich eine Mahnwache von Frauen in Schwarz in der Eingangshalle des Vienna International Center um Unterschriften für einen Protestbrief an den UNO Generalsekretär zu sammeln, gegen die systematischen Vergewaltigungen von Frauen im bosnisch-serbischen Konflikt.
Nach meiner Pensionierung gab es weitere kleine Benefizabende, um palästinensischen Familien in Gaza zu helfen, und als die zweite Intifada begann, beschloss ich, mich mehr in politischer Arbeit zu engagieren. Im Juni 2001 rief die Koalition von Frauen für den Frieden in Israel zu einem internationalen Tag gegen die israelische Besatzung auf und ich entschied mich, eine Mahnwache in Wien abzuhalten. Die Frustration über die Schwierigkeit, die Medien davon zu überzeugen, die Menschenrechtsverletzungen und Angriffe der israelischen Armee zu publizieren, gab mir die Idee, bei regulären Mahnwachen Schriften an die Passanten zu verteilen, die von israelischen, internationalen und palästinensischen Journalisten beider Seiten geschrieben waren und genau über die Situation berichteten. Ziel dieser Mahnwachen war es, die Öffentlichkeit über die Wurzeln des Konflikts aufzuklären, die Menschenrechte zu verteidigen und die Diskussion über die Besatzung zu eröffnen, vor allem, um dieses wichtige Thema nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und zu verhindern, dass das palästinensische Volk und die Arbeit israelischer Friedensaktivisten ignoriert und vergessen werden.
Das wurde zum wichtigsten Ziel in meinem Leben. „Frauen in Schwarz (Wien)“ und die „Kritische Jüdische Stimme (Österreich)“, Teil der europäischen Föderation „Europäische Juden für einen gerechten Frieden“ haben seither Mahnwachen abgehalten, Petitionen verbreitet, Appelle an die österreichische Regierung gerichtet, Briefe an die Medien und Politiker geschrieben, Filmabende über Israel und Palästina gezeigt, die sich mit der Besatzung befassen. Ich habe viele Einladungen bekommen, um dank meiner Kenntnisse, Erfahrungen und Emotionen, über die Situation in Palästina zu sprechen.
In all den Jahren habe ich Israel/Palästina ca. 35 Mal besucht. Ich hoffe auf Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung für alle Menschen, die in Israel und Palästina leben.
Man muss ein großes Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Frieden haben, an die Sache glauben, ja von ihr besessen sein, aber auch fähig sein, die Isolation in der eigenen Gesellschaft auszuhalten und damit zurechtzukommen.
Ich habe jedoch diese Entscheidung nie bereut, trotz des trüben, traurigen Bildes, das uns jetzt der Nahe Osten bietet. Ich glaube, gerade in der heutigen Zeit kommt Menschenrechtsaktivisten eine sehr wichtige Rolle zu, da doch der Frieden so dringend nötig ist. Ich bin stolz auf die Menschen, die mit mir auf den Straßen stehen mit ihren Plakaten und Transparenten, manchmal bei frostigen Temperaturen. Ich habe das Gefühl und die Hoffnung, dass diese Ausdauer irgendwann die Dinge in die richtige Richtung bewegen wird. Und außerdem glaube ich, dass wir ein Zeichen und Beispiel für die jüngere Generation sein können.
Paula Abrams-Hourani
(Übers.: Gerhilde Merz)