„Ein verborgenes Leben“ – Nachlese zum Jägerstätter-Film v Terrence Malick – Verliebte Liebe als Kraftquelle zum Widerstand (v. Klaus Heidegger)


Wie ein fundamentalontologischer Liebesfilm
„Remember the day, when we first met?“ Mit dieser Frage von Franziska beginnt ein Film, der mich drei Stunden lang fesselt, berührt, anspricht, zu Tränen rührt – oder, um es philosophisch zu formulieren, in der Existenz betrifft.
Menschen, die verliebt sind, stellen sich oftmals solche Fragen an den Anfang ihrer Liebe und wahrscheinlich können sie die Details von einem solchen Anfang auch Jahrzehnte danach noch nacherzählen, nachempfinden, wie das Wetter war, welche Gerüche es gab, wie die Umgebung war, vor allem aber, wie man sich in die Augen schaute, um sich ganz in der Tiefe wahrzunehmen.
Der als „Einzelgänger“ in Hollywood bekannte Regisseur Terrence Malick ist mit der Existenzphilosophie von Martin Heidegger vertraut. Auch das Drehbuch und die cineastische Umsetzung über das Leben von Franz und Franziska Jägerstätter ist fundamentalontologisch geprägt. Wer mit Heideggers Philosophie vertraut ist, erkennt die zugrundeliegende Frage nach dem Sinn vom Sein in der Welt. „Sein und Zeit von Jägerstätter“ – so könnte man diesen Film in Heideggerscher Diktion nennen. „Das alltägliche Sein zum Tode ist als verfallendes eine ständige Flucht vor ihm …“, so hatte es Heidegger formuliert. Der Mensch ist das Subjekt, das in freiem Willen sich entscheiden kann, wie es seine Existenz in dieser Welt gestaltet, eine Entscheidung für das Böse oder das Gute. In diesem Vorhandensein in der Welt durchlebt der Mensch die tiefsten Erfahrungen von Liebe und Hass, Geborgenheit und Heimatlosigkeit, Vertrauen und Angst. Gott – sofern es überhaupt noch einen Namen für ihn gibt – wird stets erfahrbar in diesem Vorhandensein. Dort, wo Paradies vorgefunden wird, lebt Gott, dort, wo Menschen die Hölle auf Erden machen, wird versucht, Gott zu vertreiben. Nicht Gott vertreibt die Menschen aus dem Paradies, sondern die Menschen zerstören es.
Es ist, als hätte Terrence Malick die existenzphilosophischen Grundgedanken von Heidegger über die Vita von Jägerstätter gelegt. Dabei wird im Epos „A Hidden Life“ vor allem eine Sinnfrage beantwortet: Der tiefste Sinn im Leben, so könnten wir nach drei Stunden Film festhalten, ist die konkrete Liebe mit all dem, was zu ihr zählt: Eine geistig-seelische sowie körperliche Einheitserfahrung, ein sich Aufeinander-Verlassen-Können, eine vorwurfsfreie gegenseitige Annahme, ein verliebtes Verspieltsein-Können und in all dem eine Erfahrung von Paradies. Malick hat die Jägerstätter-Geschichte wie einen Liebesfilm konstruiert. Die Plakate zu seinem Film zeigen das Liebespaar Franz und Franziska verspielt und kuschelnd auf einer Wiese. Ähnlich ist auch im offiziellen Trailer die Aufmerksamkeit auf die Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptcharakteren hin orientiert. Eine romantische Stilisierung offenbart die wichtigste Botschaft aus diesem Opus, wichtiger als eine Szene, die den Hauptprotagonisten bei der Eidverweigerung in Enns charakterisiert, wichtiger als Bilder aus seinem Gefängnisaufenthalt, selbst wichtiger als ein Jägerstätter betend vor dem Kreuz. Der US-Starregisseur hat in der künstlerischen Rekonstruktion des Lebens von Jägerstätter meisterhaft die Kraft und Schönheit der Liebe aufgezeigt, die stärker ist als jede noch so brutale Gewalt.
Die Liebe der beiden gehört zur paradiesischen Welt, der die höllische Welt diametral entgegengestellt wird. Auch die Hölle auf Erden ist von Menschen gemacht. Selbst die größten teuflischen Erfahrungen faschistischer Einschüchterungen, sublimer Beeinflussungen, hintertückischer Versprechungen vermögen diese Liebe nicht zu brechen.
„… you looked at me and I knew how simple life was then…“ Franziska gibt sich selbst die Antwort auf ihre Frage, wie es war, als sie ihrem Franz zum ersten Mal begegnet ist. Und am Ende wird sie sagen: „… whatever I do, I’m always with you, always!“ Selbst ohne die fast kitschig wirkenden Bilder bäuerlichen Lebens und ohne sanfte Geigenmusik im Hintergrund sind solche Worte wirkmächtig.
Mehr als ein historisches Biopic
Der Film „A Hidden Life“ ist nicht ein klassisches Biopic über eine Person, nicht ein Historienfilm, dessen Anliegen es wäre, historisch möglichst exakt und dokumentarisch orientiert die Geschichte zu verfilmen. Das zeigt schon die Art und Weise der Auswahl der Schauplätze. Die Filmorte wurden in pittoreske Berglandschaften Südtirols verlegt. Gedreht wurde vorwiegend nicht an den Heimatplätzen des historischen Jägerstätters. Nur kurz diente das eigentliche Jägerstätterhaus in St. Radegund als Drehort. Dieses Drama von Liebe und Geliebtwerden und Verlust ebendieser durch hinterlistige Machenschaften, durch heimtückische Betrüger und Einseitigkeiten kann sich in tausendfacher Form an verschiedenen Orten abspielen, wo zwei Menschen sich lieben. Zu Beginn des Filmes heißt es folgerichtig „inspired by true events“.
Kein „Einzelkämpfer“
Letztlich war Jägerstätter nicht, wie es so gerne dargestellt wird, ein „unbeugsamer Einzelkämpfer“[1], sondern er hatte eine Person an seiner Seite, die ihm aus tiefster Überzeugung signalisierte „Ich verstehe dich!“ und ihm sagte „Ich liebe dich!“[2] Dieser kurze Dialog, den Franz und Franziska im Gefängnis in Berlin nach der Verkündigung des Todesurteils und in Gegenwart eines Nazi-Anwalts und des Pfarrers aus St. Radegund halten, hat mich besonders berührt. Historisch mag es als unrichtig gewertet werden, dass dem Verurteilten noch ein Angebot unterbreitet worden sei, er müsste sich ja nur zur Sanität melden, um freizukommen.[3] Malick wollte bewusst keinen exakten Historienfilm drehen, sondern fungiert als Künstler und bringt durch sein Kunstwerk noch stärker das zum Ausdruck, was über Jägerstätter hinaus eine existenzielle Grunderfahrung von unüberbietbarer Kraft ist. In der besagten Szene sitzen sich die beiden Liebenden an einem Tisch gegenüber. Der Tisch ist zum einen wie eine Grenze zwischen ihnen – unmittelbar davor verbot ein Gefängniswärter eine liebevolle Umarmung, zum anderen wird er aber nun zur Brücke, auf dem die Unterarme von Franz und Franziska liegen, während ihre vier Hände zu einem Ganzen werden. Er müsse nur unterschreiben, sagt der Nazi-Anwalt, der wie eine satanische Versuchergestalt erscheint. Doch Franz schaut in die Augen seiner Frau und fragt sie: „Verstehst du mich …?“ Was wäre gewesen, wenn Franziska in diesem so entscheidenden Augenblick gesagt hätte: „Nein, Franz, das geht mir zu weit!“ Was wäre gewesen, wenn sie ihn als „Sturkopf“ getadelt hätte, wie es all die anderen auch taten, die Leute vom Dorf, der Pfarrer und selbst der Bischof? Hätte dann Franz so überzeugt an seiner Verweigerung festhalten können, an seinem Grundsatz, man könne nicht Gott lieben und die Menschen töten? Von Franziska wird jener Satz gerne zitiert – und ich hörte ihn selbst aus ihrem Mund in ihrer einfachen und zugleich so überzeugenden Art: „Wenn ich nicht zu ihm gehalten hätte, hätte er gar niemanden gehabt.“[4]
Ein verliebter Heiliger
Viele Hagiographien von Heiligen und Seligen sind durchzogen von Askese und Selbstaufopferung. Malick zeichnet einen Heiligen, der voller Lust mit seiner Geliebten blödelt. Historisch gesehen dauerte die Liebe zwischen beiden von 1935 bis zu Jägerstätters Hinrichtung im August 1943, also rund acht Jahre. Doch Liebeszeit hat eine andere Relation. Da kann sich in einem Augenblick eine ganze Weltgeschichte verbergen. Berührend ist die Szene, als Franz nach einigen Monaten Wehrdienst wieder heimkommt. Fani läuft ihm entgegen, Franz läuft ihr entgegen, und sie umarmen und küssen sich. Intensive Umarmungsszenen durchziehen diesen Film. Franz wird als Mann dargestellt, der liebevoll mit verbundenen Augen mit Fani und ihren drei Töchtern auf den Feldern Versteckerlix spielt. Die Liebe, die ihm seine Frau schenkt, ist wie göttliche Gnade. Die liebevolle Grundhaltung von Franz hört jedoch nicht auf bei seiner Frau und seinen Kindern. Im Gefängnis wird er gezeigt als jemand, der verbotenerweise noch ein Stückchen Brot einem Mitgefangenen zuschiebt, der einem Mithäftling Mut zuspricht und auf dem Weg zur letzten Gerichtsverhandlung mit gefesselten Händen sich bückt, um achtsam einen Regenschirm gerade zu richten, der im Weg liegt. Franz lässt sich nicht anstecken vom Hass seiner Peiniger. Als ihn der Nazirichter beim Verhör fragt, ob er von Jägerstätter verurteilt würde, sagte Franz „nein“. Seine Verurteilung gilt nicht der Person, sondern dem Menschen. Damit steigt Franz aus den mimetischen Zirkeln, aus Gewalt-Gegengewalt-Reaktionen, aus Feind-Freund-Schemata aus.
Existenzielle Anfragen für das eigene Leben im heutigen Sein und Zeit
Jägerstätter entspricht so gar nicht dem postmodernen Menschentyp mit einer Anything-goes-Mentalität. Eine erste Lektion aus diesem Film lautet. Alles ist zwar möglich, doch nicht alles darf sein. Es braucht die Grundentscheidungen für das Gute und gegen das Böse. In einer Welt, die zerstört wird von den Mechanismen des Todes, braucht es ein klares Nein. Der Schrecken der Naziherrschaft ist unvergleichlich. Die realen Dystopien unserer Zeit verlangen von uns aber auch heute oftmals unbequeme Grundentscheidungen. So wie Greta Thunberg und mit ihr die Fridays-for-Future-Bewegung gegen die Zerstörung des Planeten durch Erderhitzung auftreten, so wie die Extinction-Rebellion-Gruppen Sand im Getriebe der Zerstörungsräder sind. In unserem Vorhandensein in unserer Welt ist es scheinbar möglich, „das Beste aus beiden Welten“ zu vereinen, und Menschenrechte werden mit Sicherungshaft-Phantasien außer Kraft gesetzt, internationale Regelungen und Maßnahmen zur Lösung der Migrationsfragen werden boykottiert. Jägerstätter hätte gesagt: Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen. Es gilt die Frage: Auf welcher Seite stehen wir? Letztlich ist auch jede noch so kleine Kaufentscheidung eine Frage, auf welcher Seite des Systems jemand steht. Vor allem aber ist die Inspiration von Jägerstätter hilfreich, sich mit Kriegen und Kriegsdienstvorbereitungen der Gegenwart kritisch auseinander zu setzen. Unter diesem Blickwinkel habe ich in den letzten beiden Jahrzehnten das Leben von Franz Jägerstätter gelesen. Dabei ist mir seine Entwicklung zu einer tendenziell pazifistischen Grundhaltung wichtig geworden.[5]
Das freilich führt zur zweiten Lektion: Die Kraft zu einem politischen Einsatz kann aus dem Geschenk einer liebenden Beziehung kommen. Filmisch umgesetzt hat es Malick in einer Szene, als Franz in der Gefängniszelle brutal gepeinigt wird. Da sieht er das innere Bild, wie er mit Franziska zusammen ist. Es erinnert an die Geschichte der Steinigung des Stephanus, wo es in der Apostelgeschichte heißt „und er sah den Himmel offen“. „I’m always with you …“, solche Grunderfahrung lässt Jägerstätter nicht verzweifeln. Wenn Dietrich Bonhoeffer zwei Jahre später vor seiner Hinrichtung schreibt „von wunderbaren Mächten tief geborgen … und Gott ist mit uns am Abend und am Morgen“ so ist es auch das, was Jägerstätter selbst ganz konkret erfahren hat in der Gegenwärtigkeit von Liebe und Getragenwerden. Wenn heute noch die Zölibatsbefürworter behaupten, dass Ehelosigkeit ein besserer Garant dafür wäre, sich ganz auf die Sache Jesu einzulassen und kompromisslos die Botschaft Jesu leben zu können, und so gegen ein nicht-zölibatäres Leben ausspielen, so zeigt uns der Film eine andere Wahrheit: Franz konnte nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Lebensform eine konsequente Jesusnachfolge wählen.
Die dritte Lektion ist die Lösung der Frage nach der Existenz Gottes. Malick hat keinen frömmlerischen Film gemacht, in dem Jägerstätter einen transzendenten Gott um Hilfe bittet. Es greift viel zu kurz, wenn in Filmkritiken gar geschrieben wird, als hätte Malick einen „ent-theologisierten“[6] Jägerstätter gemacht. Wer solches schreibt, fällt nur in die Falle, Gott dort zu verorten, wo er nicht zu finden ist, beziehungsweise Gott nicht dort wahrzunehmen, wo Göttliches sicher ereignet. Gott ist ganz gegenwärtig in der Liebe. Für diese Botschaft benützt der Regisseur das ganze Instrumentarium, das ihm in einem Film zur Verfügung steht. Die Kraft der Bilder und der Musik. Selbst in den Gefängnishof mit den brutalen Wächtern und der Schrift im Hintergrund an eine Wand geschrieben „SPRECHEN VERBOTEN“ scheinen die Strahlen der Sonne und Jägerstätter kennt das Evangelium und die Worte „Gott lässt seine Sonne scheinen über Gute wie über Böse“.
Nach drei Stunden „A Hidden Life“ bleiben zurück die Sehnsucht und der Wille, im eigenen Leben jene Erfahrungen zu leben, die Malick in seinem Film poetisch gemalt hat und die August Diehl und Valerie Pachner als Franz und Franziska so glaubhaft dargestellt haben: Die Kraft zum Widerständischen aus göttlichen Erfahrungen von Liebe.
Klaus Heidegger, 10.2.2020
[1] Friedrich Otto (2020): Ein Lebensweg wie Hochgebirge und Tal, in: Die Furche, 23.1.2020, 9.
[2] In zahlreichen Veröffentlichungen wird immer wieder davon geschrieben, wie Franz durch Franziska unterstützt wurde. Vgl. dazu z.B.: https://www.dioezese-linz.at/site/jaegerstaetter/home/news/article/123105.html, online 10.2.2020.
[3] In der Begründung des Reichkriegsgerichtsurteils vom 6. Juli 1943 heißt es, dass Jägerstätter erklärt habe, „daß er auf Grund seiner religiösen Einstellung den Wehrdienst mit der Waffe ablehne, … daß er gegen sein religiöses Gewissen handeln würde, wenn er für den nationalsozialistischen Staat kämpfen würde; … er könne nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik sein; … es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Mensche; auf Grund es Gebotes ‚du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ dürfe er nicht mit der Waffe kämpfe. Er sei jedoch bereit als Sanitätssoldat Dienst zu leisten.“ Zit. in: Scheuer Manfred (2007): Selig die keine Gewalt anwenden. Das Zeugnis des Franz Jägerstätter, Innsbruck: Tyrolia Verlag, 10.
[4] Zit.in: Scheuer Manfred (2007): Selig die keine Gewalt anwenden. Das Zeungis des Franz Jägerstätter, 10.
[5] Vgl.: http://www.klaus-heidegger.at/?p=4631 , online: 10.2.2020.
[6] Vgl.: The Hollywoodreporter (2019): A Hidden Life‘: Film Review | Cannes 2019, in: https://www.hollywoodreporter.com/review/a-hidden-life-review-1212083, online 10.2.2020
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