‚Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden‘ zur geplanten Annexion palästinensisches Landes durch Israel

Sagt nicht, Ihr hättet nichts gewusst!
Alle Welt weiß, dass die israelische Regierung die Annexion großer Teile des palästinensischen Westjordanlandes plant. Dieser Plan soll in wenigen Wochen umgesetzt werden.
Jeder Mensch weiß: Diese Annexion verstößt gegen geltendes Völkerrecht.
Wer informiert ist, weiß: Die Annexion dient lediglich der ‘Legitimation’ der faktischen Besetzung und Beherrschung des Landes, das ein palästinensischer Staat hätte werden können.
Die 53-jährige Besatzung, in Israel ‘temporärer militärischer Zustand’ genannt, soll als Ein-Staat-Lösung mit unterschiedlichen Rechten für Juden und Palästinenser legitimiert werden.
Wer zuhört, weiß: Netanyahu verspricht, es wird keinen palästinensischen Staat und keine Bürgerrechte für Palästinenser*innen geben. Was immer Abbas jemals angeboten oder vorgeschlagen hat, es bleibt ungehört und bedeutungslos, denn ein Knecht hat seinem Herrn nichts zu sagen.
Wer die Lage vor Ort kennt, weiß: Palästinenser*innen sind tagtäglich in allen Bereichen ihres Lebens extrem eingeschränkt, entrechtet, oft in Lebensgefahr. Leicht vorstellbar, wie es ihnen ergehen wird, wenn sie noch weiter zurückgedrängt werden. Kaum vorstellbar, welche Folgen das haben wird – nicht nur in Palästina, Israel und im Nahen Osten, sondern womöglich als Flächenbrand, der bis nach Europa reicht.
Wer die Geschichte kennt, weiß: Geredet wird permanent, sowohl zwischen Israelis und Palästinensern als auch in der internationalen Gemeinschaft – geschehen tut nichts (Gutes). Die palästinensische Administration arbeitet gezwungenermaßen eng mit Israel zusammen, ist von Israel abhängig, hat aber de facto nichts zu bestimmen. Ändern tut sich nichts – außer dass täglich mehr palästinensisches Land gestohlen wird und die Lebensumstände der Palästinenser*innen sich kontinuierlich verschlechtern. Die Aussichten auf einen eigenen Staat, der völkerrechtlich vorgesehen ist, schwindet zusehends.
Das alles weiß die deutsche Regierung. Doch bis auf Bekundungen von ‘Besorgnis‘,bestenfalls ‘Unmut’, bleiben alle Reaktionen ohne Folgen. Doch Deutschland muss jetzt handeln!
Der Europäische Gerichtshof ( EuGH) hat zuletzt im November 2019 entschieden, dass Produkte aus den sogenannten Siedlungen nicht unter das EU-Assoziierungsabkommen fallen und deshalb gesondert zu kennzeichnen sind.
Am 11.6.2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass der BDS-Aufruf nicht antisemitisch ist und  durch  die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert wird (Freiheit der Meinungsäußerung, Art. 10).

Deutschland täte gut daran, dem Urteil des EGMR zu folgen, insbesondere da Deutschland noch in diesem Jahr die Präsidentschaft der EU übernimmt und die Präsidentschaft der IHRA seit März innehat. Die Reaktion dieses Institutes zu der Annexion kann Deutschland in dieser Funktion maßgeblich mitgestalten. Folgt sie weiterhin der merkwürdigen und wissenschaftlich unhaltbaren Antisemitismus-Definition der IHRA, gibt sie der Landesjustiz Rückenwind nicht nur in Fällen von besagtem Boykott. Das Landgericht lässt auch zu, dass der Ruf renommierter Wissenschaftler und hoch geachteter Nahostexperten wie Dr. Reiner Bernstein durch den Antisemitismusvorwurf geschädigt wird.
Wenn die Haltung der deutschen Regierung zur geplanten Annexion „neutral“ bleibt, muss sie sich fragen lassen: Unterstützt Deutschland einen Staat, der unterschiedliche Rechte seiner Einwohner*innen je nach ethnischer Herkunft anwendet? Warum treibt Deutschland mit solch einem Staat Handel, akademischen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch? Wie weit muss Israels Politik gehen, wie viele Palästinenser*innen müssen vertrieben, inhaftiert, verletzt, getötet werden, bis Deutschland einlenkt? Wie laut müssen wir Jüdinnen und Juden in Deutschland noch werden, damit Ihr uns hört?
Wie lange es auch immer dauern mag: Sagt nicht, Ihr hättet nichts gewusst!
 
Für den Vorstand, Nirit Sommerfeld