Am 6. August jährt sich der erste Abwurf einer Atombombe. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einen Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Palaver, Präsident von Pax Christi Österreich
Die erste Hälfte dieses Jahres durfte ich am Stellenbosch Institute for Advanced Study in Südafrika zu Gandhis Gewaltfreiheit forschen und möchte dessen Auseinandersetzung mit der Atombombe für den heurigen Hiroshimatag am 6. August in den Mittelpunkt stellen. Gandhis erste überraschende Reaktion auf den Abwurf der Bombe war ein weltweit wahrgenommenes Schweigen. Die Rücksichtnahme auf die USA, die den indischen Freiheitskampf unterstützte und sich plötzlich aber als mögliche Gefahr zeigte, war ein politischer Grund für dieses Schweigen.
Zurecht bemerkte Gandhi einige Monate später, dass „Nationen, die die Atombombe haben, selbst von ihren Freunden gefürchtet werden“. Es gibt auch einen religiösen Grund, denn mit dem Atombombenabwurf bestätigte sich für ihn seine letztlich von Gott bestimmte Mission für die Gewaltfreiheit. Mit dieser Waffe sah er eine apokalyptische Gefahr die Welt betreten: „Atombomben bedeuten äußerste Zerstörung […], als ob die Prophezeiung der Bibel wahr würde und es eine alles vernichtende Sintflut gäbe.“ In der Atombombe kulminierte die zur Selbstzerstörung der Menschheit eskalierende Dynamik der Gewalt. „Jetzt kennen wir die nackte Wahrheit. Der Krieg kennt nur ein Recht, das Recht des Stärkeren.“ Das traditionelle Kriegsrecht mit seinem Versuch, Gewalt einzudämmen, hat angesichts dieser Waffe für Gandhi ausgedient. Auch amerikanische Hoffnungen teilte er nicht, dass mit der nuklearen Abschreckung der Weltfrieden einkehren würde: „Amerikanische Freunde meinten, die Atombombe werde wie nichts anderes Ahimsa möglich machen. Das stimmt, wenn damit gemeint ist, dass ihre Zerstörungskraft die Welt so anwidert, dass sie sich einstweilen von der Gewalt abwendet. Aber so wie ein Mensch, der sich mit Leckereien vollgestopft hat bis zur Übelkeit, sich von ihnen abwendet, nur um sich, sobald die Übelkeit gewichen ist, mit doppelter Gier wieder darauf zu stürzen, so wird die Welt sich mit neuem Eifer in die Gewalt stürzen, wenn der Ekel nachgelassen hat.“ Moralisch verurteilte Gandhi den Nuklearkrieg scharf: „Ich betrachte die Anwendung der Atombombe zur vollkommenen Vernichtung von Männern, Frauen und Kindern als die diabolischste Form der Nutzung der Wissenschaft.“ Mit Hiroshima und Nagasaki war für Gandhi das Eintreten für die Gewaltfreiheit unabdingbar geworden: „Die Lehre, die […] aus der furchtbaren Tragödie der Bombe gezogen werden kann, lautet: Bomben können niemals durch gegnerische Bomben unschädlich gemacht werden, so wenig wie Gewalt durch Gegengewalt. Die Menschheit muss sich ausschließlich durch Gewaltfreiheit von der Gewalt befreien.“
Im Unterschied zu Gandhi dauerte es in der katholischen Kirche deutlich länger, sich von jenen ethischen Konzepten zu verabschieden, die zumindest den Besitz von Atomwaffen erlaubten. Seit der Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII., die dieser angesichts der an den Abgrund eines nuklearen Infernos führenden Kubakrise verfasste, und dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben sich die Päpste aber zunehmend der Position Gandhis angenähert und eine immer kritischere Haltung zur atomaren Abschreckung eingenommen. Fratelli tutti, die jüngste Sozialenzyklika von Papst Franziskus schließt diese Entwicklung mit der Erklärung ab, dass heute die „vollkommene Abschaffung von Atomwaffen“ zu einer „moralischen und humanitären Pflicht“ geworden ist (Fratelli tutti Nr. 262).
Diese große Herausforderung für die Menschheit wird aber nur gelingen, wenn die Gewaltfreiheit immer stärker eingeübt und sowohl auf persönlicher als auch auf politischer Ebene verwirklicht wird. Pax Christi International fördert mit seiner „Catholic Nonviolence Initiative“ die Stärkung der Gewaltfreiheit innerhalb der katholischen Kirche. Es ist gut, dass Österreich ein atomwaffenfreies Land ist. Zur globalen Abschaffung der Atomwaffen braucht es aber auch eine Stärkung der Gewaltfreiheit in unserem Land. Pax Christi Österreich wird sich in den nächsten Jahren verstärkt dafür einsetzen.
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Palaver
Präsident von Pax Christi Österreich